Die zauberhafte Begegnung


Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Eine Straße, die scheinbar ins Nichts führte, rundherum kein Baum, kein Strauch, kein Haus. Nur ein paar Felsbrocken, die scheinbar nutzlos in der Gegend herumlagen und eine kleine Felsengruppe auf einem Hügel. Ausgerechnet hier, in dieser Einöde, musste die blöde Karre streiken. Alle Versuche, den Motor wieder in Gang zu bringen, blieben erfolglos. Wütend hieb sie mit der Faust auf das Lenkrad. Doch es half nichts. Missmutig stieg sie aus, knallte die Autotür zu und stapfte den Hügel hinauf.

Ihre Hoffnung, wenigstens von hier oben eine menschliche Behausung zu sehen, von der man Hilfe erwarten konnte, zerplatzte wie eine Seifenblase, denn auf dieser Seite fiel der Hügel sanft hinab bis zur felsigen Steilküste. Man konnte in eine große Bucht sehen und weit hinaus aufs Meer, trotz des verhangenen Himmels. Man konnte sogar sehen, dass es über dem Meer regnete. Aber weit und breit keine Menschenseele. Ärgerlich trat sie gegen einen kleinen Stein, der vor ihren Füßen lag und nun wie ein Geschoss davonflog. Mutlos sackte sie auf einen Felsen und Tränen der Wut und Enttäuschung schossen ihr aus den Augen. An allem war nur er schuld. Wer, außer ihm, kam auf die Idee, auf so eine öde Insel zu fahren. Vier Tage waren sie jetzt schon hier und sie hatte noch nicht einmal die Sonne gesehen.

‚Es wird dir dort gefallen', hatte er gesagt. ‚Es ist schön dort und die Natur ist einmalig, ja sogar zauberhaft. Ein großer Teil der Bevölkerung glaubt an Elfen und Trolle. Sie haben sogar eine Elfenbeauftragte'. Ha! Elfen! Die gab es doch nur im Märchen. Und schön war die Natur auch nicht. Das Meer war stürmisch und grau, die farbigen Häuser sahen aus, als duckten sie sich vor dem Wind, die vereinzelten Grasbüschel zwischen den Felsen konnten den Eindruck der Einöde auch nicht aufheben und die Leute waren einfach nur merkwürdig. Besonders diese Elfenbeauftragte, die lief doch völlig neben der Spur. Sie schüttelte den Kopf. ‚Elfen! So ein Blödsinn'.

Als sie heute vom Einkaufen wiederkamen, hatte sie ihm das vorgeworfen und all der aufgestaute Ärger hatte sich dabei entladen. Er versuchte, sie zu beruhigen, doch alles was er sagte, regte sie nur noch mehr auf. So hatte sie dann wutentbrannt die Tür der Ferienwohnung zugeschlagen, sich ins Auto gesetzt und war losgefahren. Irgendwohin, einfach nur weg. Dann war plötzlich, ohne ersichtlichen Grund, der Motor ausgegangen und das Auto stehen geblieben. Und nun saß sie hier ohne die geringste Chance auf Hilfe. Ein neuer Tränenstrom bahnte sich seinen Weg.

"Warum weinst du?" Die Stimme war leise wie ein Flüstern und sie registrierte sie als einen ihrer Gedanken. "Warum weinst du eigentlich?" erneut diese Stimme, diesmal etwas lauter mit einem ärgerlichen Unterton. "Ich hätte Grund dazu, du nicht. Du rücksichtsloser, egoistischer Mensch." Die Tränen verschleierten zwar ihren Blick, trotzdem sah sie vor sich auf einem Felsen stehend, ein kleines Wesen, nicht größer als ihre Hand. Ungläubig zwinkerte sie mit den Lidern und wischte sich dann die letzten Tränen aus den Augen. Das Wesen blieb und jetzt sah sie es auch genauer.

Spindeldürre Beine steckten in grünen Pantoffeln, über dem Knubbelbauch spannte sich ein braunes Wams und unter dem kleinen braunen Hütchen lugte kurzes rotes Haar hervor. Sein Gesicht war rot angelaufen und die schmetterlingsartigen Flügel klappten auf und zu. Sie kniff die Augen zusammen, doch als sie sie wieder öffnete, stand das Wesen immer noch da. Das gab es doch gar nicht. Wo war sie gelandet? Erschrocken blickte sie um sich. Doch es war alles noch wie vorher. Es hatte sich nichts verändert. "Hast du keine Augen im Kopf?" fuhr das Wesen zeternd fort. "Kommst einfach hierher, betrittst mein Land, ohne zu fragen und besitzt dann auch noch die Frechheit, einfach mit Steinen zu schießen. Zum Glück ist er an einem Felsen vor meinem Haus abgeprallt." Er wischte sich mit einem winzigen Tuch über die Stirn. "Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn du mein Haus getroffen hättest. Was hast du dir dabei gedacht? He?"

Sie fand ihre Sprache wieder. "Entschuldige mal, ich wusste ja nicht..." "Papperlapp, ich wusste ja nicht. Wer bist du überhaupt und was willst du hier?" Sie wusste nicht, ob sie wach war oder träumte, aber sie wollte zurück zu ihrem Freund. Vielleicht konnte ihr der Wicht dabei helfen. Und so absurd die Situation auch war, sie klammerte sich an diese Idee, wie ein Ertrinkender an den sprichwörtlichen Strohhalm. Nach kurzem Zögern erzählte sie ihm die ganze Geschichte und endete mit den Worten: " Jetzt steht das Auto unten auf der Straße und springt nicht an und ich möchte zurück zu meinem Freund.

Kannst du mir nicht helfen?" "Ja." antwortete der Wicht und sie atmete erleichtert auf, ohne sich Gedanken um das "wie" zu machen. Das Wesen schmunzelte. "Und du bist einfach so mitgekommen, ohne unsere Insel zu kennen?" wollte es wissen. "Mein Freund kennt sich hier aus und ich dachte, er informiert mich." Das Wesen nickte eifrig. "Das hat er auch, aber du hast nicht zugehört, weil du enttäuscht warst." "Na ja, eigentlich gefällt es mir hier schon. Es könnte nur etwas schöner sein." Das kleine Wesen breitete die Arme aus. "Es ist schön hier, sieh dich nur um." Ein Sonnenstrahl fiel aus den Wolken auf das Land und auf einmal blühten bunte Blumen zwischen den Felsen. Die Grasbüschel wirkten wie Farbtupfer auf der braunen Erde und der Hang bis zur Steilküste war ein einziger grüner Teppich. Über Küste und Meer spannte sich ein Regenbogen mit so intensiven Farben, wie sie es noch nie zuvor gesehen hatte.

Überrascht sprang sie auf. "Ja, du hast Recht" strahlte sie." Es ist schön hier. Wunderschön." "Siehst du. Man muss nur die Augen aufmachen," sagte das Wesen weise. Lächelnd drehte sie sich zu dem Wicht. "Darf ich jetzt auch erfahren wer du bist?" fragte sie und hatte ihren Kummer ganz vergessen. Das Wesen machte eine kleine Verbeugung, soweit wie der Bauch es zuließ, und zog dabei den Hut. "Ich bin Filo, der einsame Elf." "Freut mich, dich kennen gelernt zu haben, Filo. Jetzt muss ich aber los, mein Freund macht sich sicher schon Sorgen." Sie wandte sich zum Gehen. "Undankbares Volk," knurrte der Elf. Als hätte sie die Worte gehört, drehte sie sich nach ein paar Schritten noch einmal um."Vielen Dank auch!" rief sie lachend und lief dann zum Wagen zurück. Der Elf verschwand grinsend in seinem Haus. Sie war gar nicht erstaunt darüber, dass der Motor ohne Schwierigkeiten ansprang.

 

 

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