Die U-Bahn-Rose

"Mutter hatte Recht. Ich hätte die Tür nicht so grob zuschlagen sollen. Hätte ihr nicht wieder vorwerfen sollen, dass sie sich einmischt. Sie hatte ja Recht. Sie hatte immer Recht. Schließlich kannte sie das Leben. Und die Frauen. Und ... sie wollte das Beste für ihren Sohn."

Nun stehe ich hier, halte meine dämliche Rose in der Hand und alle gaffen. Als hätte ich nicht genug damit zu tun, meine Nervosität an den Dornen der Rose abzureagieren und meine blutigen Fingerspitzen hin und wieder abzulecken.

"Na, Rosenkavalier, kommt ´se nich?" grient der graue Alte mich an, als er mit seinen kümmerlichen Nelken aus der U-Bahn steigt und mit gebeugtem Rücken die Treppen hoch schlurft. Vermutlich, um einer ebenso krummen Alten die Angebots-Nelken unterzujubeln.

Ich musste ja unbedingt die U-Bahn vorschlagen. Vonwegen warm und trocken aufeinander warten und so. Warm ist mir schon lange. Die Abluftschächte pusten trockene Luft in den Untergrund und mein neues Deo mit dem Werbe-Slogan: "Mit underground-sero 24 Stunden durch Höhen und Tiefen" scheint hier in den Tiefen der Stadt kläglich zu versagen. Hoffentlich klebt ihr Make up nicht gleich an meiner schweißbedeckten Wange, wenn sie mich zur Begrüßung umarmt.

Mir wird schlecht. Die nächste U-Bahn gleitet quietschend heran. Dem geöffneten Maul des Ungetüms entflieht eine große Traube dunkel gekleideter, in alle Richtungen hastender Menschen. Da. Das könnte sie sein. Elegant schreitet sie auf mich zu. Mein Herz bleibt stehen. Mein underground-sero versinkt vollständig in den Poren; ich spüre, wie sich eine Dorne in meinen Daumen gräbt. Die Folter ist perfekt. Mein unverhofft lautes "Aaah" scheint sie zu erschrecken. Sie bleibt abrupt stehen, sieht mich mit großen blauen Augen an, schüttelt den Kopf, geht zielstrebig noch einen Schritt auf mich zu, greift zum Zigarettenautomaten, der direkt hinter mir hängt. Etwa eine Raucherin? Davon hatte sie gar nichts geschrieben. Ich drehe mich um, halte ihr mit starrem Arm die Rose entgegen, öffne meinen Mund und will etwas sagen. Die Sperre. Da ist sie wieder. Mein Mund bleibt offen, die Worte stürzen wieder hinunter, sind unwiederbringlich mit underground-sero versunken. Sie taxiert mich über ihr buntes Brillengestell hinweg ab, tippt sich an die Stirn und tänzelt die Stufen zum Ausgang hinauf.

Oh, hätte ich bloß gehört. Mutter hatte Recht. Sie hätte die Rose mit dem Kopf nach unten in Warte-Stellung gehalten. Sie hätte gewusst, wer die Richtige war.

Neben mir steht eine kleine Dicke. Schaut mich sorgenvoll an, fragt, ob sie mir ein Pflaster geben darf. Ich nicke, halte ihr meinen blutigen Daumen vor die Nase. Sie zaubert mit flinken Fingern ein Kinderpflaster hervor. Mein klägliches "Danke" erwidert sie mit einem lustigen Augenzwinkern. Sie scheint auch zu warten. Ob sie in die nächste U-Bahn steigt? Ob sie auf ihren Mann wartet? Seit sie neben mir steht, ist mir schon ein wenig wohler. Die Gaffer grinsen nicht mehr so softig, die Machos ziehen ihre Augenbrauen nicht mehr hoch und die Emanzen taxieren mich nicht mehr ab. Ich lasse die Dornen in Ruhe und auch underground-sero ist irgendwie wieder aufgetaucht. Ich denke, ich rieche ganz gut.

Mitten in meine Eigen-Inspektion hinein fragt sie: "Warten Sie schon lange?" "Jooo" ziehe ich die maulige Bestätigung in die Länge, "aber ich gehe jetzt. Ich glaube, ich bin doch falsch hier. Ich hätte auf meine Mutter hören sollen, wissen Sie. Mutter hält nichts von Anzeigen-Bekanntschaften."

Ich falte die Rose in vier gleiche Teile und werfe sie in den Abfallkorb unter den Zigarettenautomaten. "So ein Quatsch" sage ich und frage wie von selbst: "Ha-ben Sie was vor? Gehen Sie mit mir einen Kaffee trinken?"

"Eigentlich bin ich verabredet" zögert sie, dann lacht sie mich an. Mutter wird zufrieden sein.

Angelika Pantack



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